Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,
und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.
Psalm 36,6
Weiter als der Himmel
Wie weit reicht der Himmel? „Was steht ihr da und seht zum Himmel?“,
werden die Jünger am Himmelfahrtstag gefragt. Guckt nicht nach oben,
sondern guckt in die Welt: Nicht dort, wo der Himmel ist, ist Gott – sondern
dort, wo Gott ist, ist der Himmel. Jede/r weiß es: Der »Himmel über uns«,
dieses Blau, von dem die Sonne so reichlich strahlt, – das nächtliche Dunkel, vor welchem der Mond strahlt und aus dem die Sterne flimmern, ist unendlich weit. Wir können die Farben mit den Augen nicht einfangen. Wohin
wir auch fahren oder fliegen – bis auf die andere Seite unserer Erde –, der
Himmel ist schon da.
Wie weit ziehen die Wolken? Bis dahin, wo sie sich abregnen, oder wo sie
sich in der Sonnenwärme auflösen, sagt der Verstand. Über den Horizont
hinaus, sagt unser Auge. Irgendwohin. Unendlich weit. So ist das mit der
Güte und Wahrheit, weiß der Bibelspruch. Mit unseren Worten: Gottes Zuwendung ist grenzenlos, weiter als unser Erfahrungshorizont. Vor allem
aber reicht sie weiter als das, was Menschen sich aussinnen.
Der Psalm, aus dem der Spruch stammt, spiegelt nämlich eine bittere Erfahrung wider: Menschen können abgrundtief böse sein, können so gemein
werden, so hinterhältig und scheinheilig, dass einem die Freude am Leben
vergeht. Wer auf das Böse starrt, tut es mit zusammengekniffenen Augen
und gerunzelter Stirn, und wer den Blick nicht davon lösen kann, geht innerlich zu Grunde. Gerade deshalb bietet uns der Psalmvers eine andere
Blickrichtung. Nicht in die Niederungen menschlicher Schlechtigkeit (auch
der eigenen, oder?) zu schauen, sondern den Blick zum »Himmel« zu richten, schlägt er vor.
Vielleicht öffnen sich unsere Augen
Es ist hilfreich gegen Angst, Resignation oder ohnmächtige Wut, sich die
vielen kleinen und großen Zeichen bewusst zu machen, die uns zeigen,
dass es Gott gut mit uns meint. Und dabei öffnen sich vielleicht unsere Augen und werden staunend groß. So gut ist Gott dennoch? In der Tat: So
gut, dass er einen ganzen Himmel voller Zuwendung über uns spannt.
3
Und noch etwas fällt mir bei diesem Bibelspruch auf: Er ist ein Gebet. Der
Mensch, der diese Worte als erster formulierte, und alle die, die es ihm nachsprechen, wenden sich direkt an Gott. Beten kann Staunen, Staunen kann
Beten sein. „Gott, ich kann es nicht fassen. So gut bist du zu mir?“ – „Ja.
Lass es mal gut sein. Du brauchst es gar nicht zu begreifen. Du kannst es
einfach hinnehmen als ein Geschenk, das dir hilft zu leben“ – wie den ersten
Jüngern an Pfingsten und allen Christen danach.
Pfarrer Michael Meister