Irgendwie sind sie überall – die Engel.
Ich bin durch den Nürnberger Christkindlesmarkt gegangen, da waren sie überall – die Engelchen aus Stroh, aus Wachs geformt, aus Holz geschnitzt und aus Lebkuchen oder Plätzchenteig gebacken. Engelchen um Engelchen, sie standen in Reih und Glied zum Verkauf aufgestellt in Verkaufsbuden, aus dünnem Blech und Papier gefaltet: echte Nürnberger Rauschgoldengel. Engel sind billig, in China oder Bangladesch gefertigt. Sie sind teuer, im Erzgebirge handgefertigt und bemalt.
Sie haben es schon bemerkt. Ich mag sie nicht, diese putzigen und lustigen „Engelchen“.
Doch Vorsicht! Meine Lästerreden über Engel kommen zum Schweigen, wenn ich über einen Friedhof gehe. Da sehe ich auch Engelsfiguren. Von trauernden Menschen wurden sie auf die Gräber ihrer verstorbenen Lieben gestellt. Trauernde Menschen wollen getröstet werden. Sie hoffen, dass da doch noch etwas ist zwischen Himmel und Erde. Ich verstehe, dass Eltern, die ein Kind verloren haben, sich damit trösten, dass ihr verstorbenes Kind vielleicht als Engelchen im Himmel ein fröhliches Leben hat.
Auf meinem Schreibtisch steht ein Bild. Ich habe es mir als Andenken von einer Romreise mitgebracht. Das Original von Guido Reni (17. Jahrhundert) ist in den Vatikanischen Museen zu finden. Ein kindlicher Engel erklärt dem Evangelisten Matthäus die frohe Botschaft. Während Matthäus sein Evangelium aufschreibt, blicken Engel und Evangelist einander tief in die Augen. Die Bibel erzählt in vielen Geschichten von Gottesboten, die den Menschen wichtige Nachrichten Gottes ausrichten. Am bekanntesten ist der Engel Gabriel, der Maria das Jesuskind verheißt. Ich denke auch an den „Engel des Herrn“, der Mose im brennenden Busch den Namen Gottes offenbart (2. Mose 3, 1-6). Ich denke an den Engel, der den Frauen am Grab die Auferstehung Jesu verkündete (Markusevangelium 16, 5-6).
Wo immer in der Bibel von Engeln geschrieben ist, geht es nicht darum, die Engel als Boten Gottes zu verehren. Es geht darum, die Botschaft als Botschaft Gottes wahrzunehmen.
Als ich ein kleines Kind war, hatten meine Eltern ein Schutzengelbild über mein Bett angebracht. Auf dem Bild führt ein Engel ein Kind an der Hand über eine Brücke. Eltern wissen und ahnen, dass das Leben ihres Kindes vielfach gefährdet ist. Eltern wissen sich auch außer Stande, ständig auf ihr Kind aufpassen zu können. Viele Eltern, die ihr Kind zur Taufe anmelden, wünschen als Tauftext für ihr Kind ein Bibelwort aus Psalm 91: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten …“ (Ps 91, 11). Tatsächlich schreibt die Bibel von Engeln, die für Kinder Verantwortung vor Gott tragen (Matthäusevangelium 18, 10). Engel vertreten auch Kirchengemeinden bei Gott und erhalten Botschaften für ihre Gemeinden. (Johannesoffenbarung 2-3).
Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas erzählt von „… der Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen ‚Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.‘“ (Lukasevangelium 2, 13-14). Die Bibel nennt Gott mit dem Namen „Herr Zebaoth“. Das heißt übersetzt: Herr der (himmlischen) Heerscharen. Prominent ist der Erzengel Michael. Er gilt als Beschützer der Deutschen und bezwingt mit seinen Engeln den Satan und das Böse (Offenbarung 12,7). Die Michaelskirchen tragen seinen Namen.
Vor ziemlich genau 80 Jahren hat Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis einen Brief an seine Verlobte geschrieben: „Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. … Es ist ein großes unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat.“ Dem Brief fügte er sein Gedicht an: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.“
Hans Stubenrauch, Scheinfeld